Was denken die Angestellten? (8/10)

Eine Befragung von Handels- und Bankenbeschäftigten zu Arbeitsbedingungen und gesellschaftlichen Entwicklungen

7. SOZIALE VERUNSICHERUNG

Bild: GPA-djp, fotolia.com

Johannes Buggelsheim, Monika Pock, Bernhard Silberbauer

Verunsicherung ist ein Schlagwort, das immer wieder in österreichische Medien vorkommt, sei es in Bezug auf die Entwicklung der Wirtschaftslage, am Arbeitsmarkt oder in Zusammenhang mit politischen Entwicklungen und Entscheidungen. Doch was ist eigentlich unter Verunsicherung zu verstehen? Man kann Verunsicherung als einen Zustand verstehen, der durch eine andere Person oder durch einen Umstand herbeigeführt wird. Zwar kann man sich selbst auch verunsichern, doch sind es meist äußerer Umstände, die diesen Zustand beeinflussen. Des Weiteren kann eine Person nur verunsichert sein, wenn sie schon einmal Sicherheit verspürt hat. Erst danach können Umstände dazu führen, dass man sich verunsichert fühlt (vgl. Humar 2016, S.23-24).

Wir verstehen unter sozialer Verunsicherung jene Ängste und Sorgen, welche in unserer Befragung Angestellten aus dem Handel und Bankwesen in Hinblick auf zukünftige Entwicklungen in Österreich haben. Um genauer zu untersuchen in welchen Lebensbereichen Verunsicherung vorherrschen kann, haben wir soziale Verunsicherung in drei wesentliche Kategorien unterteilt: Die erste Kategorie ist die betriebliche soziale Verunsicherung, also eine auf den Arbeitsplatz bezogene Form der Verunsicherung. Hier fließen vor allem Aspekte wie die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Ängste vor Auslagerung der Zweigstelle bzw. der Firma ins Ausland wie auch Ängste vor Rationalisierungsmaßnahmen und der Schließung der jeweiligen Firma ein.

Eine weitere Form ist die individuelle soziale Verunsicherung. Sie besteht vorwiegend aus Selbsteinschätzungen der Angestellten in Bezug auf ihre Arbeitsmarktsituation und ob sie der Meinung sind, dass ihr Einkommen sowie ihre Pension zur Deckung ihres Lebensunterhaltes reichen wird.

Die letzte Kategorie ist die gesellschaftliche soziale Verunsicherung. Diese beinhaltet Zukunfts- und Gesellschaftsbilder der befragten Angestellten, wie Ängste vor einer Verschlechterung des eigenen Lebensstandards sowie des Lebensstandards der nächsten Generation, des Sozialsystems und des Arbeitsmarktes in Österreich und die Einschätzung in Hinblick auf neuerliche Wirtschaftskrisen.

Graphik 1: Überblick soziale Verunsicherung

In Graphik 1 wird die soziale Verunsicherung in die erwähnten drei Kategorien unterteilt. Bei der betrieblichen und der individuellen Verunsicherung, die zwischen 40 Prozent und 60 Prozent liegt, sehen wir ein relativ ausgewogenes Verhältnis zwischen Verunsicherten und nicht Verunsicherten. Hingegen fällt bei der gesellschaftlichen sozialen Verunsicherung auf, dass 90 Prozent der Befragten eher verunsichert sind. Eine mögliche Erklärung für diese Verunsicherung könnte die dauernde Angstmache in den Medien ein und der Umstand, dass von manchen politischen Parteien eine Politik der Angst betrieben wird. Die Menschen haben auch Angst, dass sich ihre individuellen sowie ihre beruflichen Lebensumstände verändern könnten. Da Österreich aber im internationalen Vergleich wirtschaftlich noch immer sehr gut dasteht, ist die Angst, dass sich diese Umstände drastisch verändern, eher abgeschwächt ausgeprägt.

Formen der Verunsicherung nach Branche

In Graphik 2 werden die drei Formen von sozialer Verunsicherung nach Branchen getrennt dargestellt. Hier lässt sich sehr gut erkennen, dass die Angestellten im Einzelhandel in Hinblick auf ihren Betrieb wenig verunsichert sind. Nahezu 80 Prozent der Befragten im Einzelhandel empfinden keine betriebliche Verunsicherung. Einen Grund kann man im Branchenreport Handel der AK (2016) finden. Dort zeigt sich, dass im Handel trotz steigender Arbeitslosenraten ein leichtes Beschäftigungsplus vorherrscht (AK Wien 2016, S.5). Solange die Beschäftigten im Handel noch nicht durch Maschinen ersetzt werden können, finden sie in der Regel noch einen Job. Im Banken und Kreditwesen hingegen sind fast 60 Prozent der Angestellten in Hinblick auf die Entwicklung in ihrem Betrieb verunsichert. Dies begründet sich wahrscheinlich aus dem Umstand, dass der österreichische Bankensektor vor der Wirtschaftskrise 2008 ein überaus lukrativer wie auch sicherer Arbeitsplatz war. Seit dieser Krise war jedoch die gesamte Branche von vielen Rationalisierungsmaßnahmen betroffen. So wurde 2016 in den Medien berichtet, dass 60 Prozent der österreichischen Banken einen Stellenabbau planen und diesen auch umsetzen. In der Öffentlichkeit macht sich der Umstand durch immer mehr geschlossene Bankfilialen bemerkbar. Die individuelle Verunsicherung ist in beiden Branchen ähnlich umfassend. Sie liegt bei rund 40 Prozent. Mögliche Erklärungen hierfür könnten geringe Qualifikationen oder eine schlechte finanzielle Absicherung sein.

Die letzte Kategorie, gesellschaftliche Verunsicherung, ist wie bereits erwähnt am stärksten ausgeprägt. Ca. 90 Prozent der Befragten sehen die Zukunft, wie auch die derzeitigen in Österreich vorherrschenden ökonomischen und politischen Zustände eher negativ. Es gibt unterschiedliche Erklärungen hierfür. Ein wichtiger Einflussfaktor könnte die Finanzkrise von 2008 und ihre Auswirkungen sein. So entwickelt sich der österreichische Arbeitsmarkt seither generell schlecht, was in einer Rekordarbeitslosigkeit seinen Ausdruck findet. Dieser Umstand führt auch zu einer Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen. Aber auch die sogenannte „Flüchtlingskrise“ der vergangenen Jahre sowie die Diskussion um die Sicherheit des Pensionssystems, die medial und politisch heftig diskutiert wurden, haben ein Unbehagen in der Gesellschaft hinterlassen.

Graphik 2: Verschiedene Formen sozialer Verunsicherung aufgeteilt nach Branchen

Zusammenhang von Einkommen und sozialer Verunsicherung

Man könnte annehmen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Einkommen und den verschiedenen Formen sozialer Verunsicherung geben sollte: Je höher das Einkommen, umso weniger verunsichert ist man. Dies war auch eine von uns zu Beginn unserer Forschung aufgestellte Hypothese, die sich jedoch nicht bestätigt hat. Es zeigen sich, wenn, dann nur sehr leichte Unterschiede: Bei den 90 Prozent der gesellschaftlich sozial Verunsicherten sieht man etwa, dass bei einem Einkommen bis 1.700 Euro rund 28 Prozent und bei einem Einkommen von über 3.200 Euro immer noch rund 15 Prozent verunsichert sind. Bei der betrieblichen Verunsicherung zeigt sich, dass 9 Prozent der MindestlohnbezieherInnen sowie 9 Prozent der SpitzenverdienerInnen und bei der individuellen Verunsicherung, dass 15 Prozent der MindestlohnbezieherInnen sowie 6 Prozent der SpitzenverdienerInnen eher verunsichert sind. Soziale Verunsicherung ist in der Tendenz also unabhängig vom Einkommen.

Zusammenhang von Bildung und sozialer Verunsicherung

Wie schon beim Einkommen, lässt sich auch kein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Angestellten und der empfundenen sozialen Verunsicherung feststellen. Auch hier sind die Unterschiede nicht sonderlich hoch: Von den rund 90 Prozent insgesamt gesellschaftlich Verunsicherten gaben ca. 25 Prozent einen Lehrabschluss als höchste abgeschlossen Bildung an. Rund 17 Prozent gaben jedoch auch an, über einen Hochschulabschluss zu verfügen. Bei der betrieblichen Verunsicherung zeigt sich, dass 9 Prozent der Personen mit einem Lehrabschluss sowie auch 9 Prozent der HochschulabsolventInnen eher verunsichert sind. Im Bereich der individuellen Verunsicherung ist der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ebenfalls gering. Hier sind 13 Prozent der Personen mit Lehrabschluss sowie 7 Prozent der HochschulabsolventInnen, eher verunsichert. Soziale Verunsicherung ist in der Tendenz also auch unabhängig vom Bildungsstand.

Schlussfolgerungen

Welche Schlussfolgerungen können nun aus unseren Ergebnissen gezogen werden?

Der Grund, warum im Bankensektor so viele Personen betrieblich verunsichert sind, liegt sicher an den seit der Wirtschaftskrise ausgelösten Umstrukturierungen in diesem Segment. Waren im Jahr 2008 noch rund 80.000 Personen im Bankensektor beschäftigt, so waren es im dritten Quartal 2016 nur mehr 62.300 Personen. Daher herrscht in dieser Branche wohl eine vermehrte Angst, den Job zu verlieren oder dass die Firma ins Ausland ausgelagert wird.

Das hohe Ausmaß gesellschaftlicher Verunsicherung lässt sich u.a. dadurch erklären, dass sich die derzeitige Arbeitswelt massiv umstrukturiert hat. So spricht Robert Castel von einer „Krise der Arbeit“, welche durch eine Veränderung der Arbeitsbedingungen, z. B. eine Zunahme an atypischen Beschäftigungsverhältnisse und eine hohe Arbeitslosigkeit, verursacht wird. Dadurch verliert seiner Meinung nach die Arbeit ihre Funktion als gesellschaftlicher Einteilungs- und Integrationsmechanismus und in Verbindung mit dem Um- und Abbau des Sozialstaates führt dies zu noch mehr sozialer Verunsicherung der Gesellschaftsmitglieder (vgl. Castel 2011, S.16-22).

Der Zustand der sozialen Verunsicherung durchdringt aber nicht nur die unteren Gesellschaftsschichten. Wie man auch in unserer Auswertung sieht, durchdringt er alle Gesellschaftsschichten vom Mindestlohnarbeiter/von der Mindestlohnarbeiterin bis zu den SpitzenverdienerInnen, von den Pflichtschul- bis zu den HochschulabsolventInnen. Wilhelm Heitmeyer nennt als Grund hierfür, dass wir ein „Jahrzehnt an Entsicherung“ hinter uns hätten, das u.a. geprägt ist durch die Wirtschaftskrise oder den 11. September 2001 (vgl. Heitmeyer 2011, S.19).

Dies führt mitunter dazu, dass Verunsicherung und Richtungslosigkeit zur gesellschaftlichen Normalität werden. Dadurch grenzen sich Menschen aller sozialer Schichten immer stärker voneinander ab und das geschieht vor allem auch durch die Abwertung von schwächeren Gruppen (vgl. Heitmeyer 2011, S.34-35). Auch sehen sie in der Sachpolitik und den staatlichen Institutionen keinen Garanten mehr für ihre soziale Absicherung.

Es geht darum, die eigene soziale Position zu erhalten, egal wie. Daher werden die Menschen auch immer anfälliger für polemisierende Schlagworte und Antworten sei es aus den Medien oder von bestimmten rechtspopulistischen Parteien. Diese bieten doch die scheinbar, einfachen Antworten, nämlich Anerkennung für die „Tüchtigen und Anständigen“ und Sicherheit für das „eigene Volk“ (vgl. Flecker und Krenn 2004, S.20-21).

Literatur

  • AK Wien (2016): Branchenreport Handel 2016. In: https://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/studien/Branchenreport.Handel.2016_neu.pdf (28.05.2017).
  • Castel, Robert (2011): Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums. 1.Auflage. Hamburg: Hamburg Edition HIS Verlag.
  • Heitmeyer, Wilhelm (2011): Deutsche Zustände. Das entsicherte Jahrzehnt. Presseinformation zur Präsentation der Langzeituntersuchung Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Bielefeld: Uni Bielefeld.
  • Humar, Marcel (2016): Rhetorik der Verunsicherung. Affekt-Strategien in den platonischen Frühdialogen. 1. Auflage. Berlin, Boston: De Gruyter Verlag.
  • Flecker, Jörg/Krenn, Manfred (2004): Abstiegsängste, verletztes Gerechtigkeitsempfi nden und Ohnmachtsgefühle – zur Wahrnehmung und Verarbeitung zunehmender Unsicherheit und Ungleichheit in der Arbeitswelt. Wien: Forba.
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