Was denken die Angestellten? (4/10)

Eine Befragung von Handels- und Bankenbeschäftigten zu Arbeitsbedingungen und gesellschaftlichen Entwicklungen

4. SOZIALE GERECHTIGKEIT UND GERECHTER ANTEIL AM WOHLSTAND

Bild: GPA-djp, fotolia.com

Melanie Schmuck, Maria Schön

„Soziale Gerechtigkeit sollte das Machtungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit ausgleichen, soziale Gerechtigkeit ist die Leitidee, um die Beeinträchtigung der abhängig Beschäftigten in ihren Arbeits- und Leis- tungschancen zu mildern. Soziale Gerechtigkeit schließt zusammen, schafft ein Wir-Gefühl, das gemeinsam geteilten Erfahrungen entspringt.“ (West 1998, S.10)

Ein Indikator für den Zustand sozialer Gerechtigkeit in einer Gesellschaft kann das Gefühl der Beschäf- tigten, ihren gerechten Anteil am Wohlstand Österreichs zu bekommen, sein. Mit unserer Forschung wollten wir herausfinden, ob die Angestellten im Handel bzw. im Banken-und Kreditwesen meinen, dass sie ihren gerechten Anteil am Wohlstand in Österreich erhalten. Die Frage „Glauben Sie, dass Sie am Wohlstand in Österreich einen gerechten Anteil erhalten oder keinen gerechten Anteil? Wie stufen Sie Ihren Anteil ein?“ interpretieren wir als eine Form des Gerechtigkeitsempfindens in Bezug auf die Entlohnung durch Erwerbsarbeit.

Laut Felixberger (2012, S. 222f.) bewerten Beschäftigte den Lohn unter anderem anhand des Verhältnisses von Anstrengung und Entlohnung im Vergleich zu anderen Beschäftigten. Unsere Forschung hat gezeigt, dass die Einschätzung nach dem gerechten Anteil vor allem vom Nettoeinkommen, der Schichtzugehörigkeit und dem Sektor abhängt.

Prinzipiell zeigt sich, dass die von uns Befragten zu 46 Prozent das Gefühl haben, ihren gerechten Anteil zu erhalten, 26 Prozent glauben, dass sie mehr als ihren gerechten Anteil und 28 Prozent, dass sie weniger als ihren gerechten Anteil am Wohlstand Österreichs erhalten. Da der Sektor hierbei eine sehr zentrale Rolle spielt, wurden die Ergebnisse nach den Sektoren aufgeteilt, dann analysiert und interpretiert.

Graphik 1: Gerechter Anteil am Wohlstand aufgeteilt nach Sektoren

Anhand der Graphik ist deutlich erkennbar, dass die Einschätzung einen gerechten Anteil am Wohlstand zu erhalten, in den beiden Sektoren relativ konträr ist. Im Handel haben 63 Prozent der Befragten das Gefühl, dass sie weniger als ihren gerechten Anteil erhalten. Wohingegen im Banken- und Kreditwesen die Mehrheit – ihrer Meinung nach – den gerechten oder sogar mehr als den gerechten Anteil erhalten.

Dies liegt wahrscheinlich an den höchst unterschiedlichen Lohnniveaus in den beiden Branchen, die sich auch bei unserer Befragung zeigen. Wir haben hierfür drei Gehaltsklassen definiert: NiedrigverdienerInnen (bis 1.700 €), NormalverdienerInnen (bis 2.700 €) und GroßverdienerInnen (über 2.700 €). Im Handel befindet sich der Großteil der Angestellten in der niedrigsten Gehaltskategorie (bis 1.700€), im Banken- und Kreditwesen hingegen nur 10 Prozent. In dieser Branche teilen sich die Angestellten vorwiegend auf die Kategorien der Normal- und GroßverdienerInnen auf. Bei den GroßverdienerInnen befinden sich im Handel hingegen nur 5 Prozent.

Graphik 2: monatliches Nettoeinkommen aufgeteilt nach Sektoren

Gerechter Anteil – Nettoeinkommen

Diese Einschätzung, ob man seinen gerechten Anteil am Wohlstand Österreichs erhält, hängt also besonders stark mit dem Nettoeinkommen zusammen: Je höher das Gehalt, desto eher fühlt man sich gerecht behandelt.

Aus unseren Ergebnissen geht deutlich hervor, dass man sich aufgrund eines höheren Einkommens gerechter behandelt fühlt. 47 Prozent der Normal- und 57 Prozent der GroßverdienerInnen denken, dass sie ihren gerechten Anteil erhalten und 33 Prozent der Normal- und 28 Prozent der GroßverdienerInnen haben sogar das Gefühl mehr als ihren gerechten Anteil zu erhalten. Mit anderen Worten: Normal- und GroßverdienerInnen sind eher der Meinung ihren gerechten Anteil oder gar mehr als ihren gerechten Anteil zu erhalten. Nicht überraschend ist, dass 55 Prozent der NiedrigverdienerInnen das Gefühl haben weniger als ihren gerechten Anteil zu erhalten.

Ein spannendes Ergebnis ist jedoch auch, dass GroßverdienerInnen nicht zwangsläufig der Meinung sind, dass sie mehr als ihren gerechten Anteil am Wohlstand erhalten. Dies lässt sich durch die unterschiedlichen Erwartungen an Lebensstandards erklären, die stark vom sozialen Milieu geprägt sind: Je weiter oben man auf der sozialen Leiter steht, umso mehr orientiert man sich hinsichtlich der Lebensstandards auch an höheren sozialen Milieus. Hier kann man dann durchaus das Gefühl haben, nicht überdurchschnittlich viel zu bekommen, obwohl man gesamtgesellschaftlich betrachtet durchaus weiter oben steht.

Gerechter Anteil – soziale Schicht

Ein weiterer interessanter Aspekt ist das Gerechtigkeitsempfinden der Befragten in Bezug auf die soziale Schicht, derer sie sich zuordnen. „Unter dem Begriff ‚soziale Schicht‘ wird üblicherweise eine Gruppe von Personen verstanden, die sich in gleicher oder ähnlicher Lebenslage befinden. […]“ (Traxler o.J., S 28f. zitiert nach Peissl 1994, S. 50).

In unserem Fragebogen gab es folgende Schichtzugehörigkeiten zur Auswahl: „Arbeiterschicht“, „Mittelschicht“, „obere Mittelschicht“ und „Oberschicht“. Grundsätzlich verorten sich, wie in Österreich üblich, 65 Prozent der Befragten in der Mittelschicht. Sehen wir uns die Ergebnisse für die Sektoren getrennt an, sind klare Unterschiede zu erkennen. Was dabei sofort auffällt, ist, dass sich im Handel keiner der Befragten der Oberschicht zuteilte und sich mehr als ein Drittel der Angestellten im Handel zur Arbeiterschicht zählte. Im Banken- und Kreditwesen sind dies demgegenüber nur 2 Prozent, etwa 28 Prozent der Beschäftigten in diesem Sektor ordnen sich der oberen Mittelschicht zu. Wie zu erwarten, geben rund zwei Drittel der ArbeiterInnen an, weniger als ihren gerechten Anteil am Wohlstand zu erhalten. In den anderen drei Schichtkategorien geben die Mehrheiten demgegenüber jeweils an ihren gerechten Anteil zu erhalten. Vor allem in der Oberschicht empfinden dies rund 80 Prozent der Befragten so.

Zusammenfassend kann man aus unseren Ergebnissen schließen, dass die Befragten im Banken- und Kreditwesen eher der Meinung sind, ihren gerechten Anteil zu erhalten und sich auch kaum der ArbeiterInnenschicht zuordnen. Im Handel gehen die Ergebnisse in eine völlig andere Richtung: Die Oberschicht ist gar nicht vorhanden und die Handelsangestellten fühlen sich tendenziell nicht fair entlohnt.

Literatur

  • Felixberger, Peter (2012): Wie gerecht ist die Gerechtigkeit? Hamburg: Murmann.
  • Peissl, Walter (1994): Das >>bessere<< Proletariat. Angestellte im 20. Jahrhundert. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.
  • West, Klaus-W (1998): Einführung: Soziale Gerechtigkeit, Sozialstaat und gewerkschaftliche Politik. In: Neue Chancen für den Sozialstaat. Soziale Gerechtigkeit, Sozialstaat und Aktivierung. Hrsg. Erika Mezger, Klaus-W. West. Marburg: Schüren.
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