Der Zwölf-Stunden-Arbeitstag – zurück ins 19. Jahrhundert? 

Franz Astleithner präsentiert bei der Einleitung seines Gastkommentars in der Wiener Zeitung  die These

Die Verkürzung der Arbeitszeit geriet im Gegensatz zur Flexibilisierung ins Stocken.

Die Einführung flexiblerer Arbeitszeiten ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen wünschen sich viele Beschäftigte flexiblere Arbeitszeiten und sie können tatsächlich zu einer Steigerung der Arbeitszufriedenheit führen, gleichzeitig bergen sie aber auch viele Gefahren. In diesem Artikel widmet er sich

  • der Geschichte der Arbeitszeitentwicklung
  • Auswirkungen der Flexibilisierung auf Männer und Frauen
  • den gesundheitsschädlichen Aspekten der AZ-Verlängerung
  • den geschlechtsspezifischen Aspekten der Flexibilisierung

Im 18. Jahrhundert griff der Staat mit dem Verbot von Kinderarbeit erstmals regulativ in die Arbeitsverhältnisse seiner Untertanen ein und machte damit die Lohnarbeiter zum Objekt staatlicher Politik. Davon war auch die Arbeitszeit betroffen. 1885 wurde der elfstündige Maximalarbeitstag in Fabriken eingeführt. Es war der Auftakt einer langen Erfolgsgeschichte der Arbeitszeitverkürzung, deren Meilensteine die Einführung der 48-Stunden-Woche 1919, jene der 40-Stunden-Woche 1975 und die stufenweise Ausweitung des Urlaubsanspruches auf fünf Wochen bis 1986 waren.

All diese Maßnahmen trugen dazu bei, die Produktivitätsgewinne im Sinne kürzerer Arbeitszeiten auf alle zu verteilen und für Vollbeschäftigung zu sorgen. Durch die Regulierung und Verkürzung der Arbeitszeit wurde ein Teil der Zeit entkommodifiziert, also dem Wettbewerb entrissen, wodurch erst Freiräume für andere Lebensbereiche entstehen konnten. Seit den 1980ern steht jedoch weniger die Arbeitszeitverkürzung im Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen, sondern der flexible Einsatz von Arbeitskräften und Arbeitszeit. Wenngleich die ursprüngliche Intention der Arbeitnehmervertretung war, Arbeitszeitflexibilisierung gegen kürzerer Arbeitszeiten abzutauschen, geriet die Verkürzung im Gegensatz zur Flexibilisierung ins Stocken.

Heute kann man in Österreich bereits von einem hochflexiblen Arbeitsmarkt sprechen. Phasenweise können Arbeitszeiten auf bis zu 50 oder 60 Stunden pro Woche angehoben werden. Daneben fand eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts (im Sinne der Arbeitgeber) in Form von befristeter Beschäftigung, Leiharbeit, All-in-Arbeitsverträgen, Freien Dienstnehmern oder Scheinselbständigkeit statt. All diese Formen der Arbeitsorganisation wälzen unternehmerisches Risiko auf Arbeitnehmer ab. Für die Arbeitgeber bedeuten flexiblere Arbeitszeiten also vor allem geringere Kosten für eine Anpassung des Faktors Arbeit an Auftragsschwankungen. Zum einen entfallen bei langen Durchrechnungszeiträumen häufig Überstundenzuschläge, die Arbeitskräfte werden somit billiger. Zum anderen ermöglichen flexiblere Arbeitszeiten eine knappere Bemessung der Personaldecke. Es muss also weniger Personal bezahlt werden.

Hier können wir bereits den amibivalenten Charakter flexiblerer Arbeitszeiten erkennen. Denn auch wenn sich Beschäftigte flexiblere Arbeitszeiten wünschen und auf dem Papier vielleicht auch haben, heißt das noch lange nicht, dass sie sich diese auch zunutze machen können. Im schlimmsten Fall verlieren sie Überstundeneinkommen, während die Arbeitszeit noch stärker an betriebliche Belange (und nicht an die persönlichen Bedürfnisse der Beschäftigten) angepasst wird. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen von hohem Leistungsdruck, fehlender Jobsicherheit und unternehmensorientierter Flexibilität ist das sehr wahrscheinlich. Die Möglichkeit, zwölf Stunden zu arbeiten, wird somit schnell zum Zwang. Wer lässt schon gerne die Kollegen im Stich und dringend zu erledigende Arbeit liegen, wenn es keine Regularien gibt?

Frauen reduzieren Arbeitszeit, Männer weiten sie aus

Zudem hat die Ausweitung der Tageshöchstarbeitszeit negative Auswirkungen auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sowie auf die Gesundheit und bewirkt eine Verschiebung von Arbeitszeitnormen. Österreich ist dem konservativen Wohlfahrstaatsmodell zuzurechnen, in dem Männer im Kontext von Familiengründungen die Arbeitszeit eher ausweiten, während Frauen sie eher reduzieren. Schon jetzt haben Frauen deutlich kürzere Erwerbsarbeitszeiten als Männer, wohingegen sie drei Viertel der unbezahlten Arbeit übernehmen. Die Forschung zeigt, dass Frauen flexible Arbeitszeiten eher für familiäre Bedürfnisse einsetzen, während Männer sich in ihrer Flexibilität eher an betrieblichen Interessen orientieren. Ein regulativer Rahmen hält hier also Ungleichgewichte in Grenzen. Insofern würde eine Ausweitung der Tagesarbeitszeit die Geschlechterunterschiede verschärfen.

Auch aus gesundheitlicher Perspektive spricht viel gegen die Einführung des Zwölf-Stunden-Tages. So steigt die Unfallhäufigkeit ab der achten Arbeitsstunde stark an. Es ist hinlänglich bekannt, dass Personen, die regelmäßig länger als zehn Stunden pro Tag arbeiten, häufiger über gesundheitliche Probleme aufgrund ihrer Arbeitszeit berichten. Die Erkrankungen des Bewegungsapparates, die jetzt bereits 21 Prozent der Krankenstandstage ausmachen, werden also zunehmen. Gerade ältere Arbeitnehmer werden häufig nicht in der Lage sein, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Zudem kann eine knappere Bemessung der Personaldecke auch dazu führen, dass der indirekte Druck auf die Beschäftigten weiter zunimmt, was wiederum auf die ohnehin schon stark steigende Zahl psychischer Erkrankungen rückwirken wird. Diesbezüglich sind die zusätzlichen Anforderungen an die Beschäftigten, wenn sie selbst für ihr Zeitmanagement verantwortlich sind, nicht zu unterschätzen.

Nicht alle können neuen Arbeitszeitnormen entsprechen 

Außerdem können durch Lockerungen der Regelungen neue Arbeitszeitnormen entstehen, denen nicht alle entsprechen können. So werden ältere Arbeitnehmer und Mütter mit Betreuungspflichten im Zuge einer Ausweitung der Tagesarbeitszeit wohl noch stärkere Diskriminierung erfahren, weil ihnen zugeschrieben wird, diese Normen nicht zu erfüllen. All diese Zusammenhänge finden in den individuellen Wünschen der Beschäftigten kaum Berücksichtigung, wirken aber über unterschiedliche Transmissionsriemen wieder auf die Individuen zurück und sollten deshalb bei der Diskussion um flexiblere Arbeitszeiten Eingang finden.

Lässt man sich tatsächlich auf die Ausweitung der Tagesarbeitszeit ein, können einige Maßnahmen negative Folgen zumindest eindämmen. Um einer Personalverknappung entgegenzuwirken, ist es notwendig, dass lange (Tages-)Arbeitszeiten zuschlagspflichtig bleiben. Außerdem sollte Zeitausgleich mit Überstundenzuschlägen im Vergleich zu Überstundenauszahlung attraktiver gemacht werden. So würde Arbeitszeitflexibilisierung tatsächlich zu einer Arbeitszeitverkürzung führen, was angesichts der Arbeitsmarktlage dringend notwendig wäre. Darüber hinaus reduziert zeitnaher Zeitausgleich die negativen gesundheitlichen Folgen langer Arbeitszeiten.

Eine weitere Ungleichverteilung von Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen zu verhindern, ist wohl die schwierigste Aufgabe. Dafür bedarf es wohl einerseits eines kulturellen Wandels, der Männer bezüglich unbezahlter Arbeit stärker in die Verantwortung nimmt, sowie eines Ausbaus von Kinderbetreuungsplätzen und eines entsprechenden gesetzlichen Rahmens. Positive Beispiele für eine günstige Arbeitszeitflexibilität sowohl für Unternehmer als auch für Beschäftigte bietet Skandinavien. Dort gelang es auch, die unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechtern einigermaßen gleich zu verteilen.

Ob Ähnliches in den aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, in denen wenig Bewusstsein für grundlegende arbeitszeitbezogene gesellschaftliche Zusammenhänge herrscht, möglich ist, bleibt fraglich. Insofern bleibt zu hoffen, dass arbeitszeitbezogene Reformen nicht zu Arbeitszeitmodellen führen, die bereits vor 130 Jahren überwunden wurden.

Zum Autor: Franz Astleithner

hat Soziologie und Volkswirtschaft an der Universität Wien studiert und arbeitet derzeit am Institut für Soziologie der Universität Wien. Als Arbeitssoziologe forscht er zu Arbeitszeit, sozialer Ungleichheit, industriellen Beziehungen und ethnischen Ökonomien.

 

 

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Über Werner Drizhal

Den Lehrberuf "Elektromechaniker für Starkstrom" in der AMAG-Ranshofen erlernt. Als Jugendvertrauensratsvorsitzenden zum ÖGB-Oberösterreich als Jugendsekretär gewechselt. Nach Absolvierung der Sozialakademie als ÖGB-Bezirkssekretär für Linz-Land gearbeitet. 1996 bis 1999 Mitglied eines OE-Teams der ÖGB-Zentrale, wo ich mich mit Organisationsentwicklung der ÖGB-Bezirkssekretariate und Mitwirkungsfragen von FunktionärInnen in der Gremienarbeit beschäftigte. 1999 in die ÖGB-Zentrale als Personalentwickler gewechselt. Hauptverantwortlich für die Einführung von MitarbeiterInnengesprächen im ÖGB. Umsetzung von professionellen Personalinstrumenten in der ÖGB-Zentrale. Ausbildung in systemischen Coaching und Erlebnispädagogik absolviert. 2007 Wechsel in die Bildungsabteilung der GPA-djp. Zur Zeit Leiter des Geschäftsbereichs Bildung - Gewerkschafts- und Personalentwicklung in der GPA-djp.

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