Wie der Mensch lernt

KollegInnen der IG Metall Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, der Bildungsvereinigung ARBEIT und LEBEN Niedersachsen und des Bildungszentrum HVHS Hustedt haben eine Broschüre für ReferentInnen mit dem Titel „Wie lernt der Mensch“ verfasst, um mehr Orientierung für die eigene Praxis als Lehrende in der gewerkschaftlichen Grundlagenbildung zu bekommen.
Der Inhalt der Broschüre umfasst:

  1. Karsten Meier: Von der Hirnforschung lernen
  2. Erhard Meueler: Alltagsbewusstsein
  3. Ein Interview mit Klaus Dera: Politische Bildung muss helfen, Orientierung zu gewinnen
  4. Klaus Dera: Zwölf Regeln für ein erfolgreiches Seminar
  5. Birgit Schröder: Zehn Merkmale guten Unterrichts nach Hilbert Meyer
  6. Informationen zur Literatur und den AutorInnen

Zwölf Regeln für ein erfolgreiches Seminar

Klaus Dera (stellv. Leiter des Bildungszentrums Heimvolkshochschule Hustedt und zuständig für die Qualifizierung von ReferentInnen der IG Metall) schreibt:

„Wer Bewusstsein bilden will – und das ist das Ziel unserer Grundlagenbildung -, muss sich zunächst einmal damit beschäftigen, was Bewusstsein eigentlich ist und wie es entsteht. Auf einen sehr einfachen Nenner gebracht ist Bewusstsein die Summe der Lebenserfahrung jedes einzelnen Menschen. Das erklärt auch, warum es sehr schwierig ist, selbst in einem Seminar mit nur wenigen Teilnehmenden ein „gemeinsames Bewusstsein“ herzustellen. Jede und jeder Einzelne sieht die Welt nun mal so, wie er sie aufgrund seiner individuellen Biografie kennen gelernt hat. Daran kann man nicht einfach „herumbilden“! Und zwar selbst dann nicht, wenn man glaubt, die richtigen oder die besseren Argumente auf seiner Seite zu haben.
Kurz gesagt: Niemand lässt sich von jemand anderen sein Bewusstsein bilden.“

Folgende zwölf Regeln stellt Klaus Dera für ein erfolgreiches Seminar auf:

  1. Demokratie im Seminar praktizieren statt Autorität ausüben
    Den Zwang zur Unterordnung unter fremde Autoritäten kennen die TN-Innen bereits aus ihren Betrieben. Im Seminar müssen sie eine Welt kennen lernen, die frei von Zwängen und Abhängigkeiten ist.
  2. Mit den TeilnehmerInnen auf gleicher Augenhöhe reden
    Die TN-Innen sind gleichberechtigte PartnerInnen in einem gemeinsamen Bildungsprozess zur Klärung unserer wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit. In ihrem persönlichen Umfeld sind sie darüber hinaus ExpertInnen in eigener Sache.
  3. Fragen aufwerfen statt Antworten geben
    Grundlage kritischen Denkens ist der Zweifel. Es geht nicht darum festgefügte Meinungen irgentwie zu widerlegen, sondern die Entstehung und den möglichen Nutzen dieser Meinung mit ihnen kritisch aufzuarbeiten.
  4. Arbeitsaufgaben als „Forschungsprojekte“ organisieren
    Es geht nicht darum Inhalte/Gesetze richtig widergeben zu lassen, sondern wichtig ist die Meinungsbildung zum Thema anzuregen.
  5. Gruppenkonflikte von den Gruppen lösen lassen
    Störungen müssen bearbeitet werden, aber nicht durch autoritäres Eingreifen der ReferentInnen, sondern in einem partnerschaftlichen Seminarklima sollen gemeinsame Probleme auch gemeinsam bewältigt werden.
  6. Abweichende Meinungen zulassen und notfalls auch stehen lassen
    Nicht alle Meinungen passen ins geplante Seminarkonzept. Sofern es sich nicht um ausdrücklich provokative, rechtsradikale oder frauenfeindliche Äußerungen handelt, ist die Toleranzgrenze mit den TN-Innen abzustimmen.
  7. Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmenden fördern
    Die ReferntInnen ordnen nicht autoritär an, sondern das Seminargeschehen wird in einem konstruktiven Diskurs gemeinsam mit den TN-Innen gestaltet.
  8. Mehr zuhören statt reden
    Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Das gilt auch für ein qualifizierte Seminarleitung. Je größer der Redeanteil der TN-Innen ist, umso besser ist es auch meistens gelungen.
  9. Eine ausgewogene Beteiligung aller Anwesenden sichern
    ReferentInnen sollen eine ausgewogene Beteiligung zwischen DauerrednerInnen und besonders zurückhaltenden TN-Innen schaffen, ohne jemanden zu überfordern.
  10. Den Seminarverlauf offen gestalten
    Die Seminare haben ein Konzept – einen „roten Faden“ – der ist aber keine Leine, an der die TN-Innen herumgeführt werden. Er ist ein Wegweiser, der Platz für Abweichungen, Umwege und gedankliche Ausflüge.
  11. In der Ruhe liegt die Kraft
    „Blinder Eifer schadet nur.“ Lernen hat mit Denken zu tun, und Denken braucht Raum und Zeit.
  12. Bildung soll Spaß machen, aber Spaß ist noch keine Bildung
    Es wird nicht nur „gelernt“, sonern es werden Erfahrungen ausgetauscht, neu Eindrücke gewonnen, es werden gruppendynamische Prozesse ausgefochten und Freundschaften geschlossen, umso erfolgreicher wird das Seminar sein. Trotzdem: Aus Spaß resultiert noch keine Bildung.

 

Zehn Merkmale guten Unterrichts nach Hilbert Meyer

Birgit Schröder (hauptamtl. Pädagogin im IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel) beschreibt in diesem Artikel das didaktische Sechseck, das sie bildet um die  Zielstruktur – Inhaltsstruktur – Prozesstruktur – Handlungsstruktur – Sozialstruktur und Raumstruktur.

  1. Klare Strukturierung des Unterrichts
    Unterricht ist dann klar strukturiert, wenn das Unterrichtsmanagement funktioniert und wenn sich für ReferentInnen und TN-Innen ein gleichermaßen gut erkennbarer „roter Faden“ durch die Stunde zieht.
  2. Hoher Anteil echter Lernzeit
    Es geht darum, dass die TN-Innen möglichst viel Lernzeit bekommen. Dazu benötigen wir ein gutes Zeitmanagement, wo Pünktlichkeit, Pausen und eine wechselnde Rhytmisierung des Tagesablaufes (z.B. Plenararbeit und Arbeitsgruppen)gut aufeinander abgestimmt sind.
  3. Lernförderliches Klima
    Meyer beschreibt dies aus der Sicht eines Pädagogen folgend: „Ein lernförderliches Klima bezeichnet eine Unterrichtsatmosphäre, die gekennzeichnet ist durch:

    1. gegenseitigen Respekt,
    2. verlässlich eingehaltene Regeln,
    3. gemeinsam geteilte Verantwortung,
    4. Gerechtigkeit der ReferentInnen gegenüber jedem/jeder Einzelnen und der Lerngruppe insgesamt
    5. und Fürsorge der ReferentInnen für die TN-Innen untereinander.
  4. Inhaltliche Klarheit
    Inhaltliche Klarheit liegt dann vor, wenn die Aufgabenstellung  verständlich, der thematische Gang plausibel und die Ergebnissicherung klar und verbindlich gestaltet worden ist. Es ist nicht so einfach verständliche Fragen zu stellen, aber sie sind eine wesentliche Voraussetzung guten Unterrichts.
  5. Sinnstiftendes Kommunizieren
    Dies bezeichnet den Prozess, in dem die TN-Innen im Austausch mit den ReferentInnen dem Lehr-Lern-Prozess und seinen Ergebnissen eine persönliche Bedeutung geben. Für die Arbeit als ReferentIn heißt das, eine Gesprächskultur zu pflegen, die es jeder und jedem ermöglicht, sich zu beteiligen und sichtbar zu werden.
  6. Methodenvielfalt
    Methoden sind immer die „Krücken“ für die Vermittlung des Inhalts und sollten deshalb immer zum Inhalt passen aber nicht zum Inhalt selbst werden. Methodenvielfalt liegt vor,

    1. wenn der Reichtum der verfügbaren Inszenierungstechniken genutzt wird,
    2. wenn eine Vielfalt von Handlungsmustern eingesetzt wird,
    3. wenn Verlaufsformen des Unterrichts variabel gestaltet werden.
  7. Individuelles Fördern
    Individuelles Fördern heisst, jeder/jedem TeilnehmerIn

    1. die Chance zu geben, ihr/sein motorisches, intelektuelles, emotionales und soziales Potenzial umfassend zu entwickeln
    2. und sie/ihn dabei durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.
  8. Intelligentes Üben
    Die Übungsphasen bei unseren Kursen sind dann intellegent gestaltet

    1. wenn die TN-Innen ausreichend Gelegenheit zum Üben haben
    2. wenn die Übungsaufgaben passend zu den Inhalten formuliert werden
    3. wenn die TN-Innen Übungskompetenz entwickeln und die richtigen Lernstrategien nutzen
    4. wenn die ReferentInnen gezielte Hilfestellungen geben.
  9. Transparente Leistungserwartungen
    Bei der Ausschreibung des Seminars und beim Start verweisen wir immer auf die Ziele der Veranstaltung und leiten daraus den Nutzen für die TN-Innen ab. Die Themen, die wir bearbeiten, leiten sich daraus ab und gleichzeitig fordern wir die TN-Innen auf ihre Erwartungen zu formulöieren. Die Aufgabe der ReferentInnen besteht darin darüber Transparenz zu erzeugen.
  10. Vorbereitete Umgebung
    Sie bezieht sich auf den Raum und die Materialien die zum Einsatz kommen. Gute Vorbereitung ist die Basis für gutes Gelingen.
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Über Werner Drizhal

Den Lehrberuf "Elektromechaniker für Starkstrom" in der AMAG-Ranshofen erlernt. Als Jugendvertrauensratsvorsitzenden zum ÖGB-Oberösterreich als Jugendsekretär gewechselt. Nach Absolvierung der Sozialakademie als ÖGB-Bezirkssekretär für Linz-Land gearbeitet. 1996 bis 1999 Mitglied eines OE-Teams der ÖGB-Zentrale, wo ich mich mit Organisationsentwicklung der ÖGB-Bezirkssekretariate und Mitwirkungsfragen von FunktionärInnen in der Gremienarbeit beschäftigte. 1999 in die ÖGB-Zentrale als Personalentwickler gewechselt. Hauptverantwortlich für die Einführung von MitarbeiterInnengesprächen im ÖGB. Umsetzung von professionellen Personalinstrumenten in der ÖGB-Zentrale. Ausbildung in systemischen Coaching und Erlebnispädagogik absolviert. 2007 Wechsel in die Bildungsabteilung der GPA-djp. Zur Zeit Leiter des Geschäftsbereichs Bildung - Gewerkschafts- und Personalentwicklung in der GPA-djp.

3 Gedanken zu „Wie der Mensch lernt

  1. Toller Eintrag!!

    denke, jetzt sollten wir wirklich schön langsam die blogaufspleissung beginnen. Zuletzt gab’s da wieder so einen schönen Beitrag zum Thema EBR und heute das da. Ideal für ein Grundlagen der gewerkschaftlichen Bildung diskutierendes Blog.

  2. Danke für das kompakte Exzerpt. Es macht Lust auf mehr. Ich nehme an, dass es in der zitierten Broschüre noch mehr interessante Inhalte gibt. Jetzt interessiert mich nur noch: Wie und wo kann ich die Broschüre bekommen?

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