Die Arbeiterkammern – der verlängerte Arm der Gewerkschaften

In seinem kürzlichen Kommentar auf derStandard.at kritisiert Eric Frey, dass die Arbeiterkammer „in ihrer politischen Arbeit als ein verlängerter Arm der Gewerkschaft“ agiert. Das ist einigermaßen irritierend, denn genau das ist ein, wenn nicht der zentrale Zweck der Arbeiterkammer. Und dass dem so ist, erklärt sich auch aus der Entstehung der Arbeiterkammer, die gewissermaßen ein Kind der Gewerkschaften ist. Denn es waren die bereits in Gewerkschaften organisierten ArbeiterInnen, die die Arbeiterkammern als gesetzliche Vertretung der ArbeitnehmerInnen über lange Jahre gefordert – und schließlich auch erreicht – haben. (Eine kurze Chronik der Forderungen bis hin zur Gründung der Arbeiterkammern: 1848-1919: Die Vor­ge­schich­te, 1918-1933: Grün­dung & erste Erfolge.)

„Es sind die Gewerkschaften, die 1920 die Gründung der Arbeiterkammern erreichen, als Gegengewicht zur gesetzlichen Vertretung der Wirtschaft. Vieles, was in den ersten Jahren erkämpft wird, ist heute selbstverständlich.“ (Unsere Arbeiterkammer. Eine Reise durch das letzte Jahrhundert.)

„’Die Kammern für Arbeiter und Angestellte und die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte sind berufen, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern.‘ So lautet der § 1 des „Bundesgesetzes über die Kammern für Arbeiter und Angestellte und die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammergesetz 1992 — AKG)“. (Klaus-Dieter Mulley: Die Kammern für Arbeiter und Angestellte. AK/VÖGB-Skriptum, Wien 2016: ÖGB Verlag, Seite 8.)

Diese Fakten sind sowohl im Gesetz („Arbeiterkammergesetz“) als auch online, zum Beispiel auf der Webseite der Arbeiterkammer, für jede und jeden leicht nachzulesen. Wer also – wissentlich oder unwissentlich – die Zusammenarbeit von Arbeiterkammern und Gewerkschaften angreift, greift die Arbeiterkammer in ihrer ureigensten gesellschaftspolitischen Aufgabe an. Da hilft es wenig, wenn der Kommentator zuvor einige wichtige und richtige Darstellungen zu den Leistungen und zur gesellschaftlichen Rolle der Kammern (nicht nur der Arbeiterkammer) formuliert, um letztlich unter dem uninformierten Vorwand eines Reformbedarfs erst recht wieder die Arbeiterkammer ins Visier zu nehmen.

Wie hängen AK und Gewerkschaft aber eigentlich zusammen?

Die Arbeiterkammer ist „selbstverwaltet“. Das heißt, die Arbeiterkammer erhält ihren interessenpolitischen Auftrag direkt vom sogenannten ArbeiterInnen-Parlament („AK-Vollversammlung“). Dieses Gremium kann man sich so ähnlich wie den Nationalrat vorstellen: Wie im Parlament sind unterschiedliche Fraktionen in diesem Plenum vertreten. Die Abgeordneten sind GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen und heißen „KammerrätInnen“. In den Medien werden diese Männer und Frauen oft „AK-FunktionärInnen“ genannt. Die Zusammensetzung des ArbeiterInnen-Parlaments wird bei den AK-Wahlen durch die Mitglieder bestimmt.

Im „AK-Parlament“ können alle Fraktionen Anträge einbringen und stimmen dann gemeinsam über diese ab. Diese Anträge, die auf demokratischem Weg von den KammerrätInnen beschlossen werden, bilden dann den interessenpolitischen Arbeitsauftrag für die Arbeiterkammern. Die Aufgabe der Arbeiterkammern ist es zum Beispiel, auf dieser Basis Gesetzesvorlagen zu entwickeln bzw. entsprechende interessenpolitische Beschlüsse des ArbeiterInnen-Parlaments gegenüber der Regierung zu verteidigen.

Der Angriff auf die Arbeiterkammern: gegen die Arbeitenden, für noch mehr Profite!

Deshalb wollen Parteien wirtschaftsliberale Parteien, Wirtschaftsverbände („Die Industriellenvereinigung, die FPÖ und die Neos, aber auch das ÖVP-Wahlprogramm kritisieren aber die Pflichtmitgliedschaft und politische Aufgaben.“ Wiener Zeitung, 23.10.2017.) und auch neoliberal gesinnte JournalistInnen zumindest eine Senkung der AK-Umlage (diese beträgt durchschnittlich weniger als 7 Euro, genau 6,91 Euro im Monat!) erreichen: Damit die Arbeiterkammern nicht mehr genug Ressourcen haben, um die Interessen und Rechte der ArbeitnehmerInnen auch in der Gesetzgebung zu vertreten. Sozialabbau und Privatisierungen gehen ohne Mitsprache der ArbeitnehmerInnen dann natürlich deutlich leichter vonstatten.

Damit der (berechtigte) Aufschrei der ArbeitnehmerInnen aber – zumindest für’s Erste – ausbleibt, soll die Arbeiterkammer laut ÖVP, FPÖ und NEOs ihre Aufgabenfelder mit direktem Mitgliederkontakt weiter aufrecht erhalten: Beratung, Rechtsvertretung und Service. Auf den ersten Blick bleibt für die ArbeitnehmerInnen damit – vorerst – alles beim Alten. Das bedeutet aber auch, dass alles, was darüber hinausgeht und kollektive Arbeits- und Sozialrechte der ArbeitnehmerInnen betrifft, im gleichen Zuge (klammheimlich) abgedreht werden soll. Die verheerenden Folgen für die ArbeitnehmerInnen werden damit erst verzögert bemerkbar – dann, wenn es zu spät ist. Sind die Strukturen der Arbeiterkammern als Gegengewicht erst einmal zerstört, haben die Wirtschaft und eine neoliberale Regierung, die die Interessen der Wirtschaft umsetzt, freie Hand. Sie können auf gesetzlicher Ebene alle Rahmenbedingungen schaffen, um das Arbeitsrecht unternehmensfreundlich zu gestalten – in Bezug auf Kündigungen, Arbeitszeit, ArbeitnehmerInnenschutz usw. usf., von der Zerstörung der Kollektivverträge einmal ganz abgesehen (siehe dazu „Warum die Abschaffung der Kammern das Ende der Kollektivverträge bedeuten würde“, mosaik-blog 16.11.2017). In der aktuellen Situation tritt offen zu Tage, wie sehr es Organisationen der ArbeitnehmerInnen – Gewerkschaften und Arbeiterkammern – braucht, die auf den drei entscheidenden Ebenen der Mitbestimmung – im Betrieb, in der Branche und in der Politik – agieren und im Sinne der Interessen der ArbeitnehmerInnen mitgestalten (vgl. Becksteiner, Mario / Reiter, Florian / Steinklammer, Elisabeth: Betriebsratsrealitäten. Betriebliche Durchsetzungsfähigkeit von Gewerkschaften und BetriebsrätInnen im Kontext der Globalisierung. Wien 2010: ÖGB Verlag).

Auffassungsunterschiede darüber, was politisch richtig bzw. gut oder gesellschaftlich erwünscht bzw. unerwünscht ist, sind das Eine. Die Möglichkeit der kontroversen Diskussion darüber ein wesentlicher Grundpfeiler unserer Demokratie. Die wirtschaftsgetreue bzw. neoliberale Agenda aber mit dem Deckmantel der „Veränderung“ zu versehen und die tatsächlich zugrunde liegenden Interessen von Sozialabbau für die 95% auf der einen und noch mehr Profite für 5% auf der anderen Seite zu verschleiern, ist an Demogogie grenzende Irreführung.

Beitrag von Lisa Sinowatz und Thomas Kreiml.

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